Alt werden

Alt werden

Wenn ich meine Mutter frage, wie es ihr geht, lautet ihre Antwort seit einiger Zeit:

„Altwerden ist einfach scheiße.“

Während sie das sagt, fällt mir eine Hand voll Steine von der Seele. Sie landen nicht wie so oft in meinem Magen, sondern kullern stattdessen ins Nirgendwo. Mir wird es ein gutes Stück leichter und freundlicher ums Herz. Denn hier trifft mich keine Schuld. In dieser Angelegenheit bin ich eine Außenstehende, die gern zuhört aber nichts ändern kann.

„Altwerden ist doch scheiße,“

sagt Mutter und erzählt vom Vater, der immer ängstlicher wird und so oft hinfällt. Von den störrischen Bekannten, die immer störrischer werden. Vom Krebs, der einen Freund nach dem anderen zu Tode bringt. Vom Garten, der ihr fehlt. Ja, sie hat recht:

Altwerden ist wirklich scheiße.

Diese Deutlichkeit tut uns beiden gut. Ich bin ihr dankbar für diesen Satz. Er ist so anders als das stumme, tapfere Leiden. Anders als vorwurfsvolles Jammern und aggressive Beschwerden. Anders als der trotzige Kampf um ewige Jugend und anders als bittere Resignation. Dieser Satz rechnet nicht auf und spielt die Generationen nicht gegeneinander aus. Er ist kein Loblied und kein Abgesang. Er ist die nüchterne Feststellung einer Frau Mitte 70, die lieber 40 war. Die 40 richtig super fand. Nicht 20, nicht 30 und erst recht nicht 80! Denn …

… Altwerden findet sie scheiße.

Ich füttere die Google-Bildersuche mit dem Schlagwort „Best-Ager“ und sehe mir an, welche Versprechungen der Generation meiner Mutter so gemacht werden. Wie es denn aussieht, das Idealbild des Alters. Welche Gesichter es trägt. Ich sehe unglaublich viele perfekte Zähne und dynamische Life-Style-Motive. Es wird gelacht, geturnt, geturtelt, gewellnest und herumgetollt. „Best-Ager“ zeichnen sich also durch Ausgelassenheit aus. Hüpfende, tanzende und kiffende Opas mit der umwerfend attraktiven Oma im Huckepack. Ein bisschen runzelig gewordene Kinder, die vor allem eines haben: Ganz viel Spaß!

Danach google ich „Teenager“ und sehe in ernste, professionell lächelnde Gesichter. Unbewegt, leblos, vorteilhaft. Zweifelsohne hübsch, doch kein bisschen ausgelassen. Anschließend google ich „Kindheit“  und sehe Schwarz-Weiß-Fotos: Die Fotoalben der Best-Ager geben hier den Ton an.

Dann möchte ich nach dem suchen, was meine Generation heute auszeichnet. Doch fällt mir kein neutraler Begriff ein. Nur „Midlife-Crisis“. Schließlich suche ich nach „Lebensmitte“. Meinten Sie „Lebensmittel“? Nein. Das Bilderangebot legt nahe, dass mein Alter vor allem eine spirituelle Erfahrung ist. Viele Buchcover, wenig Menschen. Mit einer Ausnahme. Und die ist so schön und macht mich so froh, dass ich mit ihr abschließen möchte:

[Foto entfernt | Leider wünscht die Fotografin keine Vervielfältigung Ihrer Bilder]