Die bare Münze der Moral

Die bare Münze der Moral

Foto: Titelblatt des Stern vom 6. Juni 1971 (http://www.ghi-dc.org)

1971 brachen 374 Frauen ein gesellschaftliches Tabu und bekannten öffentlich:

Ich habe abgetrieben.

Über 40 Jahre später wiederholt Frau Schwarzer den Gestus ihrer legendären Protestaktion und bekennt:

Ja, ich hatte ein Konto in der Schweiz.

Die Meinungskultur scheint sich in der Zwischenzeit nicht sehr verändert zu haben, denn auch die Reaktionen gleichen sich: „Schämen soll sie sich!“ echauffieren sich die Hüter der Moral noch heute.

Bei einer Medienzarin wie Frau Schwarzer fällt es mir schwer zu glauben, dass die Ähnlichkeit beider Inszenierungen Zufall ist. Ich halte sie für ein Kalkül, das feministische Allianzen auf den Plan rufen und Solidarität mit der ‚Sache der Frauen‘ einfordern soll. Das Private ist schließlich politisch!

Das scheint zu funktionieren. Aus einer persönlichen Steueraffäre wird plötzlich ein feministischer Diskurs. Die Kritik an Frau Schwarzer – so lese und höre ich nun mehrfach – sei unverhältnismäßig und nur ihrer Weiblichkeit geschuldet. Es sei ja wohl offensichtlich, dass weibliche Steuerflüchtlinge gegenüber männlichen Steuerflüchtlingen benachteiligt werden.

Frau Schwarzer selbst geht noch einen Schritt weiter und bezeichnet die Kritik an ihrem privatpersönlichen Verhalten als politisch motiviert und instrumentalisiert:

„Rufschädigung? Klar. Zu viele haben in meinem Fall ein Interesse daran. Ein politisches Interesse. Und ich frage mich, ob es ein Zufall ist, dass manche bei ihrer Berichterstattung über mich gerade jetzt auf Recht und Gesetz pfeifen? Jetzt mitten in der von EMMA angezettelten Kampagne gegen Prostitution, wo es um Milliarden-Profite geht. Bei der Jahrzehnte währenden Kritik von EMMA am Ehegattensplitting, mit dem Vater Staat die Hausfrauenehe mit Milliarden subventioniert. Oder auch nach so scharfen öffentlichen Kontroversen, wie im Fall Kachelmann.“

In Auflehnung gegen das damals geltende Strafrecht riefen Frauen vor 1992 „mein Bauch gehört mir“ und forderten ein Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper.

In ihrem Verstoß gegen das heute geltende Steuerrecht macht Frau Schwarzer nun unmissverständlich deutlich: Mein Kapital gehört mir! Sie beansprucht die alleinige Verfügungsgewalt und „das Recht auf Privatsphäre und das Steuergeheimnis“. Ihr Unrechtsbewusstsein, das sich – wie sie schreibt – „an dem Punkt erst in den letzten Jahren geschärft hat“ bezieht sich also lediglich auf eine „Nachlässigkeit“:

„Ja, ich habe einen Fehler gemacht, ich war nachlässig.“

Nachlässig?
Wenn ein Mädchen ungewollt schwanger wird, weil sie in ihrem jugendlichem Leichtsinn vergessen hat, regelmäßig die Pille zu nehmen – DAS ist nachlässig. Wenn eine erfolgreiche Geschäftsfrau hingegen über Jahrzehnte darauf verzichtet, ihre Gewinne aus Anlagevermögen zu versteuern, weil sie Kapital in der Schweiz vergessen hat, dann ist das Betrug. Oder nicht?

Bis zu diesem Punkt denke und argumentiere ich übrigens noch gar nicht moralisch.

Moral kommt für mich erst ins Spiel, wenn mir bewusst wird, dass Herr Hoeneß sein Geld mit Fussball und Wurst – Frau Schwarzer ihres hingegen mit diskriminierten Frauen gemacht hat. Huch? Darf ich das so schreiben? Ich bin mir nicht sicher. Also werde ich begründen, wie ich zu dieser polemischen Formulierung gekommen bin:

Aus meiner Sicht war und ist die Frauenbewegung weit mehr als die Galionsfigur „Alice Schwarzer“. Gerudert sind nämlich (auch) andere (für sie). Frau Schwarzer ist demnach eine unter sehr vielen anderen, die Mut bewiesen und sich für Frauenrechte eingesetzt haben. Menschen, die gestritten und gekämpft haben, die beschimpft und ausgegrenzt wurden, denen bis heute meine Dankbarkeit und Bewunderung gilt.

Darüber hinaus ist Frau Schwarzer aber auch eine von wirklich sehr wenigen anderen, die mit feministischem Engagement einen derart beachtlichen Profit erwirtschaften konnten, dass er zur Steuerflucht motiviert.

Ich neide Frau Schwarzer nicht ihren unternehmerischen Erfolg. Würde sie Designerwurst auf Sylt oder Tweets auf Postkarten verkaufen, wäre ihr mein Beifall sicher. Stattdessen verkauft sie eine Frauenzeitschrift an eine Zielgruppe, für die ein Stückpreis von 7 Euro 50 beileibe kein Pappenstiel ist. Wie oft habe ich mir erzählen lassen, dass die EMMA einfach so teuer sein MUSS, damit sie unabhängig von Werbeeinnahmen bleibt. Integrität ohne wirtschaftliche Interessen! DAFÜR stand die EMMA. Nicht für ein besonders cleveres Geschäftsmodell, sondern für einen verklärten Blick auf die moralische Überlegenheit feministischer Meinungsbildung.

Seit ihrem ersten Erscheinen am 26. Januar 1977 ist EMMA mehr als nur eine Zeitschrift: Sie ist die beste Freundin ihrer Leserinnen, nationales Frauen-Auskunftsbüro und – Synonym für die Sache. Die Sache der Frauen.
(EMMA über sich selbst)

Es gab viele Frauen, denen diese persönliche Freundin tatsächlich wichtig war und die wirklich daran geglaubt haben. Unzählige Frauen haben ehrenamtlich für ihre Überzeugungen gearbeitet. Selbst gearbeitet – nicht ihr Geld für sie arbeiten lassen*. Denn Feminismus war und ist teuer. Nicht nur die EMMA. Auch die Seminare, Kongresse, Coachings, Therapieangebote… Wer sich die Gebühren nicht leisten kann, putzt Toiletten, kocht oder leistet Ordnerinnendienste, um mit dabei zu sein. Für wirtschaftlich schlecht gestellte Feministinnen ist das, womit Frau Schwarzer ihr gutes Geld verdient, oftmals ein kräftezehrender prekär beschäftigter Kampf um gesellschaftlichen Respekt und Würde. Kein Luxusartikel, keine Designerwurst und auch kein Fanartikel eines Fußballclubs.

Genau diese Frauen hat Frau Schwarzer in meinen Augen für dumm verkauft. Im wahrsten und bittersten Sinn des Wortes. Sie hat dies nicht mit offenem Zynismus und Häme getan, sondern in der gönnerhaften Pose sozialen Engagements. Vielleicht geschah ihr das Malheur sogar ganz ohne jede böse Absicht, nur aus Realitätsverlust und nachlässiger Maßlosigkeit. Ich fühle mich an Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst erinnert. Doch macht es das nicht erfreulicher.

* An dieser Stelle kann ich es mir nicht verkneifen Caspar Dohmen zu zitieren:

„Geld kann nicht arbeiten: Arbeiten können immer nur Menschen, Tiere oder Maschinen. Wir sehen, dass wir häufig als Anleger eine Entwicklung unterstützen, die wir als Staatsbürger, Arbeitnehmer oder Konsument ablehnen, und die uns am Schluss sogar selbst schadet.“