Frauen im Spiegel

Frauen im Spiegel

Abbildung: “Die Freundin”, Ausgabe Mai 1928 | Wikimedia.

Gerade bin ich in einem Blogbeitrag über den Zusammenhalt im Feminismus auf den Begriff „Schwarzer-Feminismus“ gestolpert. Was ist damit gemeint? Eine gesellschaftliche Bewegung, die Frau Schwarzer maßgeblich geprägt hat? Ein Meinungsspektrum, das vornehmlich in der „Emma“ publiziert wird? Eine bestimmte Generation frauenpolitisch engagierter Menschen? Ich weiß es nicht. Aber ich hatte beim Lesen den Verdacht, dass der Text den Begriff „Schwarzer-Feminismus“ als „das Andere“ inszeniert. Er scheint der Gegenentwurf zur Überzeugung des Autors zu sein. Von ihm heißt es, das er den Hidjab als Symbol der Unterdrückung ablehnt.

Meine eigene religiöse Erziehung war nicht von den Suren des Koran, sondern von einer wortwörtlichen Auslegung des Neuen Testaments geprägt. Die religiös überzeugten Kopftücher meiner Kindheit waren also bunt. Sie hatten allerdings auch eher wenig zu sagen:

Wie in allen Gemeinden der Heiligen lasset eure Weiber schweigen in der Gemeinde; denn es soll ihnen nicht zugelassen werden, daß sie reden, sondern sie sollen untertan sein, wie auch das Gesetz sagt […] Wollen sie etwas lernen, so lasset sie daheim ihre Männer fragen. Es steht den Weibern übel an, in der Gemeinde zu reden. (1. Kor. 14)

Als ich anfing mich für die Vergangenheit zu interessieren, gab man mir die Aufgabe ein Referat über „Die Geschichte der Frauen“ zu halten. Am Ende der Veranstaltung beglückwünschte mich mein Tischnachbar zur „Überschaubarkeit“ meines Themas. Er selbst sollte zur „Militärgeschichte“ arbeiten. Wissenschaftsgeschichte, Religionsgeschichte, Münzgeschichte, die Geschichte der Neuzeit, des Mittelalters, der Antike und so fort … zu wirklich allen Zweigen und Zweiglein der historischen Wissenschaften waren monumentale Werke in vielen, schweren, ledergebundenen Bänden mit dünnen Seiten, kleiner Schrift und unzähligen Fußnoten verfasst worden. Doch „Die Geschichte der Frauen“ erinnerte mit ihren gerade mal 5 Bänden eher an ein Kinderlexikon als an ein historisches Standardwerk. Das war alles, was von den Frauen aus all den Jahrhunderten übrig geblieben war. Das war ein Witz.

MIt diesem Buch in der Hand fing ich also ganz langsam an zu verstehen, was mit der „Marginalisierung des Weiblichen“ gemeint sein könnte: dass Frauen als denkende, sprechende und handelnde Subjekte in unserer Hochkultur einfach nicht lesbar waren. Sie hatten stattgefunden – davon ließ sich ausgehen – doch niemand hatte von ihnen Notiz genommen. Weibliche Identität hatte keine Geschichte, keine Tradition, keine Erinnerungskultur. Ich war verblüfft. Mir war nicht bewusst gewesen, dass auch in meinen eigenen Vorstellungen über das, woher ich kam, und das, wohin ich wollte, überhaupt keine Weiblichkeit vorkam. Ganz selbstverständlich bedeutete „Denken“ für mich, die Sätze von Männern nachzuvollziehen, die Aussagen über „die Menschheit“ trafen und Frauen dabei weitestgehend unberücksichtigt ließen. Es stand mir ja frei mich mit ihnen zu identifizieren. Und das tat ich gern. Denn ich hatte Glück, war zwar weiblich aber dennoch privilegiert. Ich hatte freien Zugang zur Bildung der alten, klugen, weißen Männer den Abendlandes.

Wollen sie etwas lernen, so lasset sie daheim ihre Männer fragen.

Ich durfte Fragen stellen. Also stellte ich Fragen, bildete mir Meinungen, vertrat sie, war vorlaut und schwieg weder in der Gemeinde noch sonst irgendwo. Ich kannte meine Rechte und lernte sie durchzusetzen. Ich studierte Geisteswissenschaften, die Sprache der alten, klugen, weißen Männer, ihre Strategien, Spielchen, Seilschaften und Eitelkeiten. Ich fuhr gut damit, wurde akzeptiert und respektiert. Darum gab und gibt es für mich keinen Grund mich als diskriminiert zu beschreiben. Denn ich wurde weder ausgeschlossen noch unterdrückt.

Aber ich interessierte mich für Frauen. Ich mochte sie. Sie faszinierten und begeisterten mich. Ich fand sie einfach toll – zumindest viele von ihnen. Und ich war auf der Suche nach einer eigenen – also meiner eigenen – weiblichen Identität. Denn dieser Teil von mir war irgendwie sprachlos und hilflos geblieben. Er war vorhanden, aber ich hatte ihm weder Beachtung geschenkt noch Wert beigemessen. Er passte nicht in meine Vorstellung – oder besser: in meine Wunschvorstellung von mir. Er verschwendete meine kostbare Zeit wahlweise mit Oberflächlichkeiten oder niederen Instinkten. Eitelkeit und Leidenschaft waren bei mir weiblich. Beides war mir suspekt und tendetiell unangenehm. Meine ganz persönliche, tief verinnerlichte „Marginalisierung des Weiblichen“.

Das wollte ich ändern. Die ‚Göttin in mir‘ entdecken und befreien! (Es waren die 90er, da sprach frau so *schulterzuck*) Also nahm ich frohen Mutes die Bücher von klugen Frauen zur Hand: Beauvoir statt Sartre, Bachmann statt Celan, Nin statt Miller. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Stolze, starke, unabhängige und charismatische Heldinnen? Jedenfalls keine Protagonistinnen, die sich nach desinteressierten Männern verzehrten, von ihnen betrügen und am Nasenring durch die Salons ziehen ließen, die sich von Eifersucht treiben und gegeneinander ausspielen ließen. Wahlweise verrückt vor Leidenschaft oder innerlich zerbrochen an enttäuschter, unerwiderter Liebe. Alles in mir sträubte sich. Meine ganz persönliche, tief verinnerlichte „Marginalisierung des Weiblichen“ fand: Das ist doch Scheiße!

Später las ich zufällig (!) Julie Burchill und  Rita Mae Brown. Und ich hatte Spaß dabei. Vielleicht wurde ich also lesbisch, weil ich mit Lesben wirklich großen Spaß haben konnte. Jedenfalls waren Lesben lange Zeit die einzigen Frauen in meinem Blickfeld, die sich selbst ernst nahmen. Sie waren die ersten Frauen, mit denen ich mich identifizieren konnte, weil sie eigene Interessen hatten. Viele Interessen. Unterschiedliche Interessen. Interessen, die Freude machten (Motorrad fahren) und nicht nur weh taten (Beine epilieren). Frauen, die einfach weitersprachen und sogar weiter zuhörten, obwohl ein Mann den Raum betrat. Deren Selbstbewusstsein nicht abrupt in sich zusammenfiel, sobald der Typ, mit dem sie gerade schliefen, begann sie schlecht zu behandeln. Das mag auch damit zusammenhängen, dass sie gar nicht erst mit Typen schliefen. Aber irgendeinen Haken gibt es ja überall. Ich nahm das jedenfalls billigend in Kauf. Denn ich fühlte mich wohl, frei und (Achtung, 90er) in großer Übereinstimmung mit mir selbst und dem, was ich von der Welt sah. Und das waren große, kleine, laute, leise, dicke, dünne, alberne, ernsthafte, eckige, runde, kichernde, coole, hübsche, schöne und besondere Frauen. Frauen, die ohne den Faktor „Mann“ entspannter, selbstbewusster, sichtbarer, bunter und nahbarer waren als sonst. Und es gab tatsächlich so etwas wie Zusammenhalt. Solidarität. Und zwar nicht gegen ein gemeinsames Feindbild – sondern einfach, weil man aufeinander angewiesen war. Pack schlug sich, Pack vertrug sich, aber beim Umzug halfen alle mit. Die Welt war nicht sehr groß.

Vielleicht fühlt sich „Feminismus“ ja einfach attraktiver an, wenn er von Frauen vorgelebt wird, die Frauen lieben und verehren; denen Männer jenseits ihrer geschlechtsneutralen Eingeschaften weitestgehend egal sind. Das kann schon sein. Ich hatte jedenfalls nie das Gefühl, dass Emanzen verbittert sind oder etwas gegen Männer haben. Gar nicht. Ganz im Gegenteil. Meine persönliche Erfahrung ist eher die, dass männerhassende Frauen mit eben diesen gehassten Personen selbst zusammen sind. Und zwar schon lange. Vielleicht ist das aber auch nur ein kompensatorisches Dampfablassen „unter Frauen“, deren Beziehungsalltag gar nicht mehr so fürchterlich ist, wenn ich aus der Tür bin. Etwas also, das diese Frauen selbst eigentlich nicht ernst nehmen, zu dem sie „sind doch nur Frauengespräche“ sagen, bitter lachen, eine Flasche Prosecco köpfen und sie „Heinz“ nennen. Das sind Momente, in denen ich sehr froh bin, kein Mann und erst recht nicht dieser Heinz zu sein.

Was ich eigentlich sagen wollte: Unter Feminismus verstehe ich tatsächlich und ausschließlich ein echtes, aufrichtiges und wohlwollendes Interesse an einer weiblichen Kultur. Ja, auch Töpfern in der Eifel und Schrottschweißen in der Toskana! Begeisterung für das, was im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verschütt gegangen, unter den Tisch gefallen und vergessen worden ist. Weil es nicht wichtig genug war, um sich daran zu erinnern, um es zu konservieren und weiterzugeben. Unter Feminismus verstehe ich die Aufmerksamkeit für das Leben unserer Mütter und Großmütter zwischen den Zeilen der Hochkultur. Unter Feminismus verstehe ich auch die Reflektion der eigenen Misogynie. Das Kleinmachen und Geringschätzen all jeder Anteile und Eigenschaften, die wir an uns selbst als weibliche Schwäche ablehnen. Also das, was auch an unzähligen Ecken dieses Textes hervorblitzt – obwohl ich das Gegenteil aussagen möchte. Sie lässt sich nicht einfach abschütteln: Diese ganz persönliche, tief verinnerlichte „Marginalisierung des Weiblichen“.

Und es würde mich unendlich traurig stimmen, wenn von der Vielfalt der Frauenbewegungen wieder nur übrig und in Erinnerung bleibt, was ein paar tonangebende Männer von ihr verstanden zu haben meinen:

Sie beschneiden unsere Rechte und sie sind gegen uns.

Doch genau das wird passieren, wenn der Zusammenhalt im Feminismus zu einer reinen Interessenvertretung verkommt.