Bachelor, Krebs und Urteilskraft
Es kommt vor, dass ich bisweilen Spaß an skurrilen und durchaus fragwürdigen TV-Formaten entwickele. Dazu gehört „Der Bachelor“. Für die Intellektuellen unter Ihnen sei das Konzept hier kurz erklärt: Eine Reihe attraktiver junger Damen unterschiedlichen Typs rivalisiert in luxuriösem Ambiente und unter Zuhilfenahme diverser Klischees um die Gunst eines jungen Mannes, der nach mehreren Selektionsrunden seine Traumfrau erwählt. Dem Zuschauer werden also am laufenden Band abwechslungsreiche Situationen des Kennenlernens präsentiert (sogenannte „Flirts“). Da ich diesbezüglich selbst ein wenig – sagen wir mal – unflexibel bin, finde ich das Spektakel tatsächlich spannend und äußerst amüsant!
In der aktuellen Staffel begab es sich, dass ein Model aus ihrer bewegten Vergangenheit erzählte, auf eine Brustkrebserkrankung zu sprechen kam und von der vollständigen Genesung durch spirituelle Beziehungsarbeit mit einem Heiler berichtete.
Auch wenn ich nicht der Auffassung bin, dass „der Bachelor“ einen Bildungsauftrag hat, behagt es mir ganz und gar nicht, wenn solche Aussagen unkommentiert gesendet werden.
Befrage ich daraufhin die marktführende Suchmaschine nach „Krebs alternativ heilen“, werden mir an erster Stelle drei bezahlte Anzeigen von Heilpraktikern präsentiert, danach fünf organische Treffer, die sich ebenfalls gegen die sogenannte „Schulmedizin“ aussprechen und „ganzheitliche“ Therapiemethoden offerieren. An neunter Stelle findet sich der erste kritische Eintrag in Form eines Spiegel-Artikels über Steve Jobs mit dem Titel „Kampf gegen die Krankheit: Jobs bereute alternative Krebstherapie“. Anschließend kommt ein von Werbeanzeigen flankierter Pro-Contra-Blog-Post, ein Foren-Beitrag, der Artikel einer Fernsehzeitung, Online-Buchhändler-Vorschläge … weit abgeschlagen auf Seite 3 bzw. Platz 28 gelange ich zum Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums.
Auch wenn ich nicht der Auffassung bin, dass Suchmaschinen einen Verifizierungsauftrag haben, behagt es mir ganz und gar nicht, wenn Informationen derart einseitig bereitgestellt werden.
Außerdem habe ich es bei diesem Experiment bereits mit den personalisierten Ergebnissen in MEINER Informationsblase zu tun. Ich möchte mir also gar nicht vorstellen, wie die Suche bei Menschen ausfällt, die sich generell nicht für den Bachelor, sondern für Alternativmedizin, Parawissenschaften und Esoterik interessieren …
Am Ende sehe ich mich also mit der Frage konfrontiert, woher ich überhaupt meine Informationen beziehe und anhand welcher Kriterien ich sie bewerte.
Wem vertraue ich und warum?
Woran mache ich Seriösität fest?
Was erscheint mir dubios?
Wen frage ich, wenn ich keine Ahnung habe?
Welche Quellen nutze ich und warum genau die?
In meiner Jugend genügte es, die „richtigen“ zwei Zeitungen zu lesen, um das Gefühl zu haben, „ausgewogen“ informiert zu sein. Gebundene Bibliographien in öffentlichen Bibliotheken garantierten Wissenschaftlichkeit. Es war also sehr leicht, sich zu orientieren. Mühsam und kompliziert war lediglich die Beschaffung archivierter Informationen und der Kopiervorgang. Heute ist es umgekehrt. Darum würde ich gern wissen, wie Sie das machen!
Was halten Sie für wahr? Wem glauben Sie?
Foto: Dieter Titz