Daily Vanish

Daily Vanish

Dinge, die aus unserem Alltag verschwinden.

Link zur Blog-Parade des Museumshelden.

Der Flur meiner Eltern war mit Teppichfliesen in Sahara-Beige ausgelegt und manilagrün tapeziert – also ‚ton-in-ton‘ mit unserem freundlichen VW-Derby. Nach ausführlicher Lektüre des Autokatalogs entschied ich, dass ihm ein weißer Jetta folgen sollte. Meine Eltern setzten sich über mich hinweg und kauften einen Opel Ascona, dessen Farbbezeichnung ich aus Protest nicht zur Kenntnis nahm. So fand meine Leidenschaft für Kraftfahrzeuge im zarten Alter vom 6 Jahren ein jähes Ende. Bis heute besitze ich weder Auto noch Führerschein und gehöre damit selbst zu den Dingen, die aus dem Alltag zu verschwinden drohen.

Weiß wie der Jetta, der mich nie fuhr, war auch das Telefonboard mit einem Extrafach für das Amtliche Verzeichnis der Ortsnetzkennzahlen, die Gelben Seiten und das Telefonbuch der deutschen Bundespost. Über all dem trohnte in leuchtendem Orange der Fernsprech-Tischapparat mit Fingerlochscheibe: unser heiß geliebtes (ich) und meistgehasstes (Vater) Miet-Telefon. Neben dem ‚Apparat‘ („1falt am Apparat, ja bitte?“) stand eine kleine Sanduhr und bemaß achtminütige Telefoneinheiten zu je 23 Pfennig. So entstand mit wachsendem Mitteilungsdrang mein Plan möglichst bald erwachsen zu werden, um nach Westberlin zu ziehen. In die Stadt der Redefreiheit ohne Telefonzeitaktung.

Überhaupt wurde viel getaktet und getickt. Ein mechanisches Metronom begleitete mich beim Quälen meiner Blockflöte, und das allgegenwärtige Ticken der Pendeluhr im Wohnzimmer hallte in der Leere meines Kopfes nach, wenn ich dort vergeblich nach Lateinvokabeln suchte. Obwohl die Pendeluhr zuverlässig aufgezogen wurde, hinkte sie der Zeit immer ein wenig hinterher und musste regelmäßig nachgestellt werden. In aller Regel wurde hierzu der Uhrvorspann der Tagesschau genutzt. Nur ganz selten durfte ich mit dem orangenen Telefon bei der Zeitansage anrufen und synchron zur dieser wahnsinnig futuristisch klingenden Magnet-Tonbandstimme aus dem Flur in Wohnzimmer rufen: „Beim nächsten Ton ist es 2 Uhr, 40 Minuten und 15 Sekunden …“

Nostalgie

Artikelfoto: Klaus Baumann.