Über Gewächshäuser, Trolls und Freundinnen

Über Gewächshäuser, Trolls und Freundinnen

Foto: S. Hecht.

In den 70ern geboren bin ich ohne Internet sozialisiert worden. Das hat Vor- und Nachteile. So bin ich nicht mit virtuellen Gemeinschaften auf- sondern 3-Finger-tippend in sie hineingewachsen. Ihre Regeln waren und sind noch immer nicht selbstverständlich für mich. Was dabei in mir gewachsen ist: Vor-, Rück- und Nachsicht. Denn das Netz geht Menschen oft näher als meine Generation annimmt. Das finde ich eigentlich ganz schön. Denn ich mag die berührbaren Seiten der Menschen. Schwer erträglich ist für mich, wenn diese öffentliche Sichtbarkeit dazu benutzt wird, Menschen zu verletzen.

Die meisten Fehler habe ich zum Glück vor Google und Facebook gemacht – die Verwendung meines Klarnamens beispielsweise oder das Veröffentlichen privater Fotos von mir. Darüber bin ich sehr froh. Dennoch hat sich in über 15 Jahren ein nicht unerhebliches Datenvolumen auf mir unbekannten Servern angesammelt, das von mir erzählt. Weil ich freiwillig von mir erzählt habe. Von dem, was ich denke und fühle. Das Netz weiß einiges von mir, von dem ich nicht möchte, dass es in Hände gerät, die mir Schlechtes wollen.

Auch wenn ich viel darüber nachdenke, weiß ich noch immer nicht, ob Seelen existieren – aber wenn es sie gibt, steckt viel von meiner in diesem Internet. Ich habe mich schon oft gefragt, warum ich so leichtsinnig bin und das zulasse. Warum ich mich freiwillig so durchschaubar und verletzbar mache. Meine Antwort hat viel mit dem zu tun, was das Wort „Seele“ bezeichnet. Damit, dass sich das Wesen eines Menschen selten auf den ersten Blick zeigt. Offline fällt es mir zwar leicht Kontakte zu knüpfen und Menschen kennenzulernen – irgendwelche Menschen, mit denen sich nette Abende verbringen lassen. Freunde zu finden, die mir wirklich nah sind, die hinter meine Fassaden sehen und mit dem, was sich dort verbirgt, umgehen können … das gestaltet sich smalltalkend allerdings schwierig.

Eine dieser Freundinnen ist Karin. Karin ist weder real noch virtuell, weder auf den Mund noch auf den Kopf gefallen. Da wir uns von Anfang sympathisch waren, hätten wir uns genauso gut bei irgendeiner Veranstaltung über den Weg laufen und ins Gespräch kommen können. Das wäre nett und kurzweilig gewesen. Wir hätten gelacht und einander gesagt, dass wir in Kontakt bleiben sollten. Dann hätten wir Nummern getauscht und uns wohl nicht mehr wiedergesehen. Keine von uns hätte gezeigt, was uns heute miteinander verbindet. Stattdessen hätten wir charmant aber kühl über all das hinweg geplaudert, was uns wirklich wichtig ist. Wir wären keine Freundinnen geworden. Sind wir aber. Also 1:0 fürs Internet.

Seit ein paar Wochen ist Karin im Community Management tätig– und wie nicht anders zu erwarten ist sie das mit Leib und Seele. Karin „erledigt keine Jobs“ – sie brennt für das, was sie tut. Sie ist ein Arbeitstier – ein extravagantes und extrovertiertes, ein mutiges und leistungsfähiges Arbeitstier, das keine Rücksicht auf sich selbst nimmt. Sie tut konsequent, was sie für richtig hält, auch wenn es unbequem ist. Vor ein paar Tagen saßen Karin und ich in meinem Gewächshaus und sprachen über den Gegenwind, den eine eher unpopuläre Entscheidung von ihr ausgelöst hatte. Karin nahm den Wirbel sportlich und mit Humor: „Im Glashaus sitzen und mit Sternchen werfen … eine muss es ja machen“.

Und nun gibt es über die foreninterne Schlammschlacht hinaus einen Gift und Galle speienden Blogartikel, dessen Ziel es zu sein scheint Karin öffentlich bloßzustellen und zu demütigen. Er richtet sich nicht gegen die berufliche Position, die Karin bekleidet, sondern gegen sie selbst. Er zielt auf genau das, von dem man sagt, es sei die Seele des Menschen, sein Innerstes. Ich bin von Herzen froh, dass der Schlag vorbei ging. Ich bin von Herzen froh, dass er gerade dort Verletzbarkeit vermutete, wo sich die Stärken meiner Freundin befinden.

Beim Lesen dieses Artikels wird so fühlbar, mit welch sadistischer Genugtuung hier Spitzen gesetzt und Messer gewetzt wurden, dass ich eine Gänsehaut bekommen habe. Ich habe keine Ahnung, was eine Person dazu bringt, jemanden ausgerechnet mit angeblicher Einsamkeit lächerlich machen zu wollen. Die Niedertracht macht mich sprachlos und ich bin mir sicher, dass meine Freundin Karin jetzt unter Scherben läge, wenn sie tatsächlich einsam wäre. Zum Glück ist sie es nicht. Nicht weil sie so viel über sich im Netz postet, sondern weil sie ein wundervoller und großherziger Mensch ist, der über niemanden etwas Böses sagt.

Vielleicht war genau das Karins Fehler – dass sie sich bis jetzt nicht vorstellen konnte, wie gehässig und schäbig kleine Lichter ihre virtuelle Trollidentität verteidigen.

 

P.S.: Da ich kein Interesse daran habe, verächtlichem Dreck eine Plattform zu bieten, verzichte ich auf eine Verlinkung.