Sag mir quando
Foto: Karl-Ludwig Poggemann
Der richtige Zeitpunkt beschäftigt mich immer wieder. In Projekten und Gedankenspielen, beim Aufschieben und Herausreden und nicht zuletzt als stete Hoffnung auf den Tag, an dem sich alles zum Guten wendet.
Dabei fühle ich mich zumeist in angenehmer Gesellschaft. Der moderne Mensch zerbricht sich seinen gehetzten Kopf ja sehr gern und wortreich zwischen Prokrastination und Zeitmanagement. Andere Tiere trauen sich Rechtzeitigkeit ganz selbstverständlich zu. Kein Tier schert sich um Strukturpläne, Zeitfenster und Meilensteine. Dennoch sind die Nester der Vögel pünktlich bezugsfertig, trollen sich Bären im rechten Moment zum Winterschlaf, schwimmen die Lachse zuverlässig flussaufwärts, wenn die Zeit reif ist.
Menschenprojekte mögen komplexer sein. Vielfach sind sie bewusst entkoppelt von den Rhythmen einer „Natur“, die wir als Gegensatz zu unserer Kultur zu begreifen gewohnt sind. Kultur beginnt also erst dort, wo Vogel, Bär und Lachs ihr Tagwerk bereits erledigt haben und sich der Zufriedenheit hingeben. Beispielsweise gibt es in vielen Menschen eine mehr oder weniger brennende Sehnsucht ein Buch zu schreiben. Um etwas mitzuteilen, loszuwerden, Beachtung zu erfahren oder etwas Bleibendes zu schaffen.
Woher weiß man nun aber, wann der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist?
Man kann es einfach ausprobieren. Alles, was sich den eigenen Versuchen in Worte gefasst zu werden beständig entwindet und eigenwillig aus der bewussten Wahrnehmung gleitet wie ein Fisch, den man nicht zu fassen bekommt, ist noch nicht soweit.
Um mir meine Schaffensfreude nicht mit vergeblichen Anläufen zu verderben, versuche ich eine Idee so lange wie möglich zu bebrüten. Ich füttere mein Hirn mit buntem Allerlei: Mit Bildern, Gedanken, Texten, Wünschen, Gefühlen und Träumen. Dieses Chaos will eine Weile ausgehalten werden: gut köcheln lassen ohne bewusst in dieser Suppe herumzurühren.
Derweil: Leben.
Tatsächlich ist Geduld der Schlüssel. Zuversichtlich warten können bis es soweit ist. Irgendwann ist der richtige Moment da. Dann schreibt es sich wie von selbst.
Die Notwendigkeit Zeit verstreichen zu lassen kann verschiedene Gründe haben. Manchmal müssen die Umstände reifen. Dann braucht es Geduld bis eine Unternehmung in ihre Umwelt passt, eine Idee ihre Zeit gefunden hat.
Manchmal will aus den gegebenen Zutaten erst etwas Eigenes entstehen. Das bedeutet Wachstum. Und Wachstum benötigt Zeit. Wie bei dem Säen von Pflanzen wartet man sehr lange auf die ersten grünen Spitzen, die sich meist viel später zeigen als man mit ihnen gerechnet hat. Es ist nicht ratsam täglich die Samen auszugraben um zu sehen wie weit sie sind. Zuversicht und Selbstvertrauen helfen Wartezeit ertragen. Und wenn das gelingt, wenn wirklich Ruhe einkehrt, hilft das Warten selbst Zuversicht und Selbstvertrauen zu entwickeln. Es macht aufmerksam und schärft den Blick. Stetes Umkreisen des Themas im Vorüberdenken – mal mehr mal weniger nah – ist ein lustvoller und vielversprechender Weg.
Doch nicht nur Ungeduld und Übereifer können den richtigen Zeitpunkt verhindern. Es besteht auch die Gefahr ihn zu verpassen. Den ersten Schritt immer wieder auf die lange Bank zu schieben; wegen der Angst es nicht gut genug zu machen oder aus Lethargie oder weil man schon wieder eine neue Welt entdeckt, sich ablenken lässt und das Interesse an der Suppe von gestern bereits verloren hat. Zumindest für Suppe gilt jedoch: gerade aufgewärmt schmeckt sie vorzüglich. Es lohnt sich also sie kaltzustellen, damit der Appetit ein weiteres Mal erwachen kann und etwas vorzufinden hat.
Ich denke, dass bei allen Projekten Begeisterung und Leidenschaft sehr zuverlässige Wegweiser sind. Da wo die Freude ist, da geht es lang! Für grüne Daumen gibt es kaum etwas Schöneres als die lang ersehnten Keimlinge beim Wachsen zu begleiten. Diese Zuwendung wird sich vielleicht nicht jedem erschließen, aber wer hat nicht schon einmal die Erfahrung gemacht etwas ganz Eigenes entstehen zu fühlen? In genau dieser Begeisterung und Zuwendung entsteht auch Flow: Dynamik, wenn sich im Einklang von System und Umwelt das perfekte Zeitfenster öffnet.
Dass die eigentliche Arbeit dann erst beginnt, ist bei so viel Glück gar nicht mehr bedauerlich.