Minderwertigkeit für Alle!
Wenn ich den Wortführer_innen im „Kampf der Geschlechter“ zuhöre oder ihre Auseinandersetzungen nachlese, bin ich immer wieder aufs Neue erstaunt darüber, mit wie viel Herablassung da agiert und argumentiert wird.
Entwertung und Provokation scheint mir fast das einzige Stilmittel zu sein und als rhetorische Allzweckwaffe eingesetzt zu werden. Da macht es keinen großen Unterschied, ob ich Alice Schwarzer und Esther Vilar zuhöre (das legendäre Streitgespäch von 1975 in voller Länge) oder Houellebecqs Ausweitung der Kampfzone lese. Statt eine eigene Position zu vertreten und sachlich zu begründen werden einfach Personen mit anderer Meinung disqualifiziert, abgewertet oder beschämt. „Sich wehren“ bedeutet hier: Andere entwürdigen und verletzen.
Glücklicherweise sind solche Ausfälle mittlerweile selten geworden. Die überwiegende Mehrheit der jüngeren Generationen scheint mir mit dieser Tradition gebrochen zu haben und eine verbindliche, konstruktive Gesprächskultur zu etablieren, die von gegenseitigem Respekt, Verständnis und Komprompromissbereitschaft geprägt ist.
Es dürfte auch als allgemeiner Konsenz gelten, dass normative Stereotype für Männer ebenso behindernd sind wie für Frauen und alle anderen Identitäten. Man ist sich also weitestgehend einig, dass es keine Gewinner und Verlierer im Zusammenleben der Geschlechter gibt, sondern viele gemeinsame Probleme und Schwierigkeiten, die alle Beteiligten betreffen, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten.
Diese (erfreuliche!) Entwicklung ist nicht auf Geschlechterthemen beschränkt, sondern durchzieht eigentlich alle öffentlich geführten Diskurse. Provokante Herablassung und Arroganz gelten einfach nicht mehr als tragbarer Diskussionsstil.
Im Vergleich dazu sind die aktuellen Auseinandersetzungen zwischen „Feministinnen“ und „Maskulisten“ ziemlicher „Vintage-Style“. Es hat den Anschein, als hätten sich diese letzten alten Kampfhähne und -hennen nun endlich aufgestöbert, um einander nach langer Abstinenz und mühsamer Zurückhaltung genüsslich die Federn auszuhacken. Einfach weil sie dieselbe anachronistische Sprache sprechen: Eine polarisierende, unterschwellig aggressive Sprache, deren Spitzen unter die Gürtellinie zielen.
Die Tatsache, dass Feministen und Maskulisten, die sich noch immer in einem Geschlechterkampf wähnen, einander argumentativ so prächtig ergänzen, täuscht aber (glaube … meine! … hoffe? ich) darüber hinweg, dass ihre Positionen längst den Anschluss an den allgemeinen Diskussionsstand verloren haben. Sie sehen sich mit einer Thematik konfrontiert, in der ihre persönliche Wut und Bitterkeit einfach keinen Platz und kein Gehör finden. „Man wird doch noch mal sagen dürfen!“ Nein. Darf man nicht. Zumindest nicht ohne auf Widerspruch zu treffen. Und das finde ich auch gut so. Ich halte ein solches Trollverhalten nicht für repräsentativ, sondern für eine Ausnahmeerscheinung.
Sehr weit verbreitet ist allerdings der persönliche Frust.
Und darin sehe ich tatsächlich ein gesellschaftliches Problem. Unglaublich viele Menschen finden sich in öffentlichen Diskursen nicht mehr zurecht. Ob es nun um Finanzmärkte, Klimawandel, Zuwanderungspolitik oder eben um Gendermainstraming geht. Nirgendwo kann man die eigene Situation verbessern, indem man einen Gegner in die Knie zwingt. Nirgendwo lässt sich erlittenes Unrecht durch Vergeltung wiedergutmachen. Sämtliche „Gegner“ überragen das eigene Gesichtsfeld. Sie sind so groß, dass sie einfach nicht ausgemacht werden können.
Trotzdem fühlen sich Menschen bedroht, abgehängt und ausgeliefert. Diesen „Opferstatus“ muss ihnen niemand einreden. Es muss ihnen auch niemand persönlich Gewalt antun. Es reicht völlig aus, den medial als „Normalzustand“ propagierten Idealen selbst nicht entsprechen zu können. Keinen Erfolg beim sexuell präferierten Geschlecht zu haben, sich keinen Sportwagen leisten zu können, keinen Waschbrettbauch zu haben, Karriere und Kinder nicht unter einen Hut bringen zu können, weder glücklich noch hochbegabt zu sein.
Wir alle außer Dieter Bohlen und Ursula von der Leyen: ziemliche Looser.
Im Bestreben den Konsum anzukurbeln, ist es uns gesamtgesellschaftlich gelungen, dass sich fast alle Menschen als ungenügend empfinden, wenn sie mit sich allein sind. Die Ansprüche, die wir an uns selbst stellen (weil wir sie für NORMAL halten), sind einfach so überzogen, dass niemand sie erreichen kann.
Minderwertigkeitskomplexe wurden zur Profitmaximierung geschaffen – ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass sie uns politisch den Kopf kosten werden.
Foto: RosiePosieTosie
Hm, ich weiß nicht, ob ich alle Thesen teile, aber viele interessante Aspekte werden aufgeworfen. Also, ich als Kampffeministin finde, dass Dieter Bohlen auch ein Loser ist. Zensursula finde ich hingegen sehr gut ausgesucht, um zu illustrieren, welche unerreichbaren Standards wohl viele für sich als normal sehen, die aber eigentlich unerreichbar sind. (Falls Du das überhaupt so gemeint hast). Im Kampf zwischen Maskulisten und Feministen finde ich die Maskulisten schon eine Etage schlimmer (A. S. läuft außer Konkurrenz, ich diagnostiziere ADHS im fortgeschrittenen Stadium). Dass sich viele in den öffentlichen Diskursen nicht mehr zurecht finden, würde ich wiederum teilen. Die Welt wird halt immer komplizierter. Texte über Gendermainstreaming zu verstehen, finde ich zum Beispiel sehr schwer, obwohl ich mich nun schon einige Jahre damit beschäftige. Damit sich mehr Leute besser zurechtfänden, müsste wohl mehr Diskurs gepflegt werden (und nicht stete Volksverdummung, Roger Willemsen hat es so klug über Angela Merkel gesagt: „Sie unterfordert uns ständig.“)
Aber eine Lösung habe ich auch nicht.