Nur Glück ist zu einfach

Nur Glück ist zu einfach

Foto: hmboo.

Glückswochen im öffentlich Rechtlichen. Toll. Ich bin außer mir vor Dings und kann mein Bums gar nicht fassen. ‚Glück ist einfach‘, lerne ich schon in den ersten Minuten. Das kann man sich ganz leicht selber machen. Indem man beispielsweise in ein Fußballstadion geht und singt. Oder in den Westen. Oder aufhört, sich ständig mit anderen zu vergleichen. Oder Fahrrad fährt. Oder Bohrmaschinen verleiht …

Glück kann jeder Mensch empfinden, sagen die Glücksexperten. Auch in großer Armut und Not, mit Leukämie, nach Flugzeugabstürzen oder querschnittsgelähmt. Ich bin planmäßig berührt und wirklich beeindruckt. Von der Tapferkeit der eingeladenen Menschen im Umgang mit dem, was man gemeinhin ein „wirklich hartes Schicksal“ nennt. Mein eigenes Unglücklichsein bleibt mir spontan im Hals stecken. Ich schäme mich für den noch immer fehlenden Sattel auf meinem Fahrrad und die spärlichen Lachfältchen in meinem Gesicht. Denn eigentlich weiß ich ja wie es geht: Sozialkontakte, Sport, Sinn.
Nur manchmal – jetzt – bin ich zu müde für mein Glück.
„Das Kind ist nicht dumm, das Kind ist nur zu faul zum Üben!“
Es stimmt: Ich bin nicht depressiv, ich bin nur zu faul zum Joggen.

Ich habe großes Glück in meinem Leben. Gehabt und immernoch. Das weiß ich. Dafür bin ich dankbar. Das möchte ich beileibe nicht kleinschreiben. Trotzdem gab es und gibt es immer wieder Zeiten, in denen ich todunglücklich bin. Aus Gründen oder einfach so. Auch wenn ich ganz oben auf dem Siegertreppchen stehe oder beim Wetteifern gar nicht erst mitgemacht habe. Auch wenn ich gesund bin und geliebt werde. Meine Traurigkeit ist ein Teil von mir. Sie ist kein Vorwurf und keine Anklage. Manchmal ist sie riesengroße Scheiße – aber sie gehört zu mir, ich komme mit ihr zurecht und dränge sie niemandem auf. Zumindest gebe ich mir große Mühe nicht zur Last zu fallen und – wenn schon Trauerklops – so doch wenigstens ein amüsanter, gut bekömmlicher Trauerklops zu sein.

Die Glücksbotschafter im Fernsehen sprechen jedenfalls darüber, wie hervorragend glücklich Menschen in anderen Kulturen so sein können, obwohl sie es nach wirtschaftlichem Maßstab viel schlechter haben als wir. Ich stutze kurz, weil ich ja gerade erst gelernt habe, dass es unglücklich macht, sich immer mit anderen zu vergleichen, die besser sind. Naja, vielleicht ist das Glück ja voller Widersprüche – das würde mich nicht wundern!

Trotzdem kommt mir der Gedanke, dass der fehlende Schlüssel zum seelischen Gleichgewicht ja auch am anderen Ende des Stimmungsbarometers vergraben sein könnte. Sonst hätten wir ihn doch bestimmt schon längst gefunden und stünden auf dem Siegertreppchen der Glückseligkeit. Denn mit Ratgebern, Handbüchern, Wegweisern und Rezepten für’s Glück können wir locker den ganzen Erdball tapezieren. Vielleicht fehlt uns ja gar keine weitere Goldmarie-Motivation, sondern ihre schlechtgelaunte, faule Schwester? Die mit den Pech: Das Unglück. Denn traurig sein dürfen ohne isoliert zu werden … lustlos, müde und alt sein dürfen ohne als krank stigmatisiert zu werden … unglücklich sein dürfen ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen … erschöpft sein dürfen von der Pflicht tagein tagaus seines Glückes Schmied und Knecht zu sein … all das ist selten. Aber es tut sehr gut. Also mir, wenn’s mir scheiße geht. Und manchmal macht es sogar glücklich.

Vielleicht sollte ich mich aber auch einfach nicht so anstellen und endlich wieder joggen gehen.