Toleranz und Respekt

Toleranz und Respekt

Foto: Daniela Hartmann

Vor einem knappen Jahr ließ ich mich auf Twitter zu der nicht wirklich standfesten Behauptung hinreißen, Toleranz sei eine lahme Ausrede für fehlenden Respekt.

Der darauf folgende Einwand…

… ist also durchaus berechtigt. Denn im Grunde sind natürlich alle Identitäten gleichwertig.

Bevor ich versuche, Ihnen meine subjektiven und unwissenschaftlichen Vorstellungen von Toleranz, Respekt und Augenhöhe unterzujubeln, lasse ich erstmal Wikipedia zu Wort kommen:

Toleranz, auch Duldsamkeit, ist allgemein ein Geltenlassen und Gewährenlassen fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten.

Respekt (lateinisch respectus „Zurückschauen, Rücksicht, Berücksichtigung“, auch respecto „zurücksehen, berücksichtigen“) bezeichnet eine Form der Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ehrerbietung gegenüber einem anderen Lebewesen (Respektsperson) oder einer Institution.

Beide Begriffe sind also Ausprägungen sozialer Wertschätzung und damit Ausdruck einer bestimmten Haltung, die ich sehr begrüße. Meine Assoziationen zu dieser Haltung sind konkret und körperlich. Darum spreche ich hier von Augenhöhe und meine damit ein Ideal, dem wir in der Welt (so wie sich jetzt ist) nicht gerecht werden können: die Größengleichheit. Denn Größen- und damit auch Machtunterschiede sind eben existent.

Jedem durchaus ehrenwerten Versuch einem unterlegenen Partner auf Augenhöhe zu begegnen, haftet deshalb unweigerlich etwas Gönnerhaftes an. Barierrearmut, inklusive Sprache, Gendermainstreaming, sozialer Ausgleich … all das sind wichtige und notwendige Bemühungen, denen es jedoch nicht gelingt den Grundsatz der Gleichheit in Form einer gerechten Welt zu realisieren.

Das Wort Respekt ist also nicht frei von Hierarchie und Machtgefälle. Es ist bestenfalls egalitär – nach sozialer Gleichheit strebend. Der Mensch selbst ist nicht unantastbar, aber seine Würde, seine Wertigkeit ist es. Und mit dem Begriff der Würde stoße ich bereits an soziale und kulturelle Unterschiede, die mir Toleranz abfordern.

Toleranz ist für mich eine Form der Duldung. Frustrationstoleranz, Schmerztoleranz … das sind unangenehme Grenzerfahrungen. Hier in Köln wird Toleranz gern mit „Jede Jeck ist anders.“ – „Jet jeck simmer all.“ übersetzt. Die Häufigkeit mit der diese Einsicht als Killerphrase verwendet wird, die jeder weiteren Auseinandersetzung den Boden entzieht, hat bei mir jedoch den Eindruck hinterlassen, dass hier oftmals schlichtes Desinteresse zum Ausdruck kommt. Konfliktvermeidung und Verständigung sind für mich zweierlei – nichtsdestotrotz bin ich froh und dankbar, dass es Shitstorms und Brandreden so schwer haben auf diesem Boden kölscher Gemütlichkeit.

Um also auf den Begriff der Toleranz zurück zu kommen: Toleranz kostet Überwindung. Ich lerne Toleranz. Ich lerne auszuhalten, was mir und meinen Wertvorstellungen ganz und gar nicht in den Kram passt. Das gelingt mir nur, wenn ich mir die Begrenztheit meines eigenen Horizonts eingestehe.
Oft ist dieses Agieren zwischen Zivilcourage, Engagement und Toleranz ein recht widersprüchlicher Eiertanz ohne Durchblick. Toleranz ist Grauzone. Toleranz macht keinen Spaß – aber sie ist ein erster Schritt.

Der zweite Schritt ist Interesse an dem, was fremd und anders ist. Neugier. Der Blick über den eigenen Tellerrand. Fragen stellen. Vorurteile und Vorbehalte zugeben und sich angreifbar machen. Es ist der Schritt aus der Komfortzone der Gleichgültigkeit. Denn jetzt geht es um Differenzen und Konfliktpotential. Das ist ungemütlich, kontrovers und oftmals verstörend. Wie kann das praktisch aussehen?

In diesem Zusammenhang mag ich den holprigen, theoretisch vielleicht fragwürdigen Begriff der teilnehmenden Beobachtung. Für mich meint er, sich an einen Tisch zu setzen und gemeinsam zu essen. In Kauf nehmend, dass vieles absolut nicht schmecken wird, was da aufgetischt wird. Aber wohlwissend, dass ein Großteil dessen, was wir als „Geschmack“ erleben, lediglich Gewohnheit ist.

Gemeinsam an einem Tisch sitzen, auf Augenhöhe miteinander reden, Rituale miteinander teilen und über die eigene Unbeholfenheit in einem kulturell fremden Kontext lachen können … mit ein bisschen Glück wird dabei aus Toleranz Respekt. Ohne Argumentation, ohne theoretischen Überbau, ohne dass sich die Widersprüche auflösen lassen.

Das wollte ich mit dem Tweet aussagen: Toleranz ist für mich eine lahme Ausrede dafür, sich diese Mühe der Auseinandersetzung zu ersparen.