Bin ich jetzt drin?
Foto: David Schiersner.
„Ich wollte nie ein Mensch mit einem komplizierten Leben sein.“
Ich bin 39 Jahre alt.
33 Jahre davon war ich erklärungsbedürfig.
33 Jahre habe ich versucht, mich verständlich zu machen. Immer wieder. Immer wieder von vorn.
Nach jeder gelungenen Integration ploppte ein neuer Erklärungsnotstand auf.
Die Normabweichungen gaben sich in meinem Leben sozusagen die Klinke in die Hand.
Ich habe sie unermüdlich in mundgerechte Häppchen geteilt, appetitlich dekoriert und mit einem kleinen Beispielsalat gereicht.
Ich habe sie angestarrt, zerdacht, in Bandwurmsätze gestopft und mit Fachbegriffen gespickt.
Ich habe mich geschmückt, entschuldigt, geschminkt und geprügelt.
Meistens hatte ich sogar Erfolg damit und durfte als Quotenexotin mitspielen.
Doch irgendwo zwischen der 7. und 12. Definition meiner Identität habe ich aufgehört das Ganze ernst zu nehmen.
Darum verzichte ich jetzt auch darauf, die Entwicklung meines Bekleidens/Begehrens/Benehmens neu und tagesaktuell zu umreißen.
Fakt ist jedenfalls: Heteros, die weder sich noch ihre Normvorstellungen jemals hinterfragt haben, bezeichnen mich heute als „normal“. Und es ist mehr als ein „Bezeichnen“. Denn sie benehmen sich auch so. Die vertraute Unsicherheit ist aus ihren Gesichtern verschwunden, die aufmerksame Verspanntheit ihrer Körperhaltung wie weggeblasen.
Ich bin einfach „drin“. Irgendein zynischer Mario-Barth-Gott hat meine Queerness als normkonform durchgewunken.
Und zum allerersten Mal in 39 Jahre empfinde ich Ignoranz nicht als Herausforderung. Zum allerersten Mal in 39 Jahren fühlt sie sich wirklich bitter an.