Worte der Liebe

Worte der Liebe

Haben wir unser Kontingent bald aufgebraucht?

Als Du mir diese Frage gestellt hast, wusste ich erst nicht, wovon Du sprichst. Du hast mir auf die Sprünge geholfen und mich an eine Idee erinnert, in die ich mich verstiegen hatte als unsere Beziehung noch ganz jung und aufgeregt war. Damals, als ich so viele kluge Sachen sagen wollte, damit Du mich spannend findest und an meinen Lippen hängst:

Was wäre, wenn?
Was wäre, wenn  jede Liebe mit einem festen, für alle gleich bemessenen Kontingent an Worten ausgestattet wäre? Erst wenn sie alle ausgesprochen sind, dann ist es vorbei. Dann enden die Gespräche und das Schweigen beginnt.

Du warst ein sehr schweigsamer Mensch damals. Vielleicht steckte also einfach die Hoffnung dahinter, Dich noch lange bei mir zu haben. Vielleicht kam mir der Gedanke aber auch in den Sinn, weil sich die Seltenheit Deiner Sätze so sehr abhob von dem eiligen Geplauder, dass ich gewohnt war.

Die Vorstellung hat mir jedenfalls gefallen. Ich habe allerdings nie in Betracht gezogen, dass es wirklich so sein könnte. In gewisser Weise habe ich dennoch danach gelebt.

Denn da waren verschluckte Sätze, die ich bei jeder Trennung unterschlug. Die ich einfach nicht freigab. Sie blieben bei mir, und mit ihnen blieb auch ich ein Stückchen gebunden. Nur drei Sätze vor dem Ende. Die neue Freiheit unangetastet jedoch zum Greifen nah.

Da war dieses wirklich alte Paar in unserem Viertel, die nicht in diese Welt sondern in ein leinengebundenes Buch gehört hätten. Jeden Tag hat er sie vom Bus abgeholt. Nie haben wir die Beiden sprechen gesehen.

Da waren die nächtelangen Diskussionen. Streitereien, die Nerven fraßen und uns mürbe machten. Ein Wort gab das andere, immer wieder, immer schneller, immer resignierter. Worte, die sich selbst nicht mehr hören konnten.

Da sind die immergleichen Formulierungen, die nur wir verstehen. Die wir wiederholen wie Zauber- und Beschwörungsformeln. Sie zählen bestimmt nur ein einziges Mal und bilden unsere Reserve für die Stunden, in denen es uns die Sprache verschlägt. In denen wir nicht mehr wissen, was wir zueinander sagen könnten.

Es war – und ist noch immer – eine dumme Idee.

Aber ich glaube, dass sie mir ein Gefühl für die Unwiederbringlichkeit ausgesprochener Worte gegeben hat. Die mir geholfen hat, vorsichtiger zu werden mit dem, was ich sage. Und das war gut für uns. Vielleicht haben wir damit sogar Bonusgespräche gewonnen.

Falls nicht, warte ich einfach an der Bushaltestelle auf Dich.

Jeden Tag. Auch wenn es regnet.