Feed the Trolls

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Foto: wwwuppertal.

In den letzten Jahren wurde mir mehrfach vorgehalten, viel von dem, was ich so schreibe, sei unverständlich.

„Schließlich haben nicht alle Leute Gender-Studies studiert!“

Stimmt. Das habe ich auch nicht. Einem solchen Anspruch werde ich also selbst nicht gerecht und stelle ihn auch nicht an andere. Außerdem möchte ich niemanden durch meinen Sprachgebrauch ausschließen. Erst recht nicht Menschen, die verstehen wollen, dabei aber an elitären Hürden scheitern, die sich eigentlich vermeiden lassen.

Darum schreibe ich – wenn möglich – um Fachbegriffe und wenig gebräuchliche Ausdrücke herum. Wenn das nicht möglich ist, versuche ich zusätzlich zu umreißen, was ich mit ihnen begreiflich machen will.

Mein Ziel: Niederschwelligkeit.

Niederschwelligkeit bezeichnet die Eigenschaft eines Dienstes oder Angebots, das von den Nutzenden nur geringen Aufwand zu seiner Inanspruchnahme erfordert.

Die Wermutstropfen: Mehrdeutigkeit, Missverständlichkeit, Langatmigkeit.

Der Ausdruck „Wermutstropfen“ […] beschreibt Dinge oder Erfahrungen, die eine Spur von Bitterkeit […] in an sich Schönes bringen, so wie ein Tropfen Wermut auch einem süßen Getränk eine Spur Bitterkeit verleiht.

Was aber, wenn Personen die zentralen Begriffe einer Thematik konsequent falsch verstehen? Was, wenn sie aus genau diesem Unverständnis ihre Position und Kritik ableiten? Oder gar Verschwörungstheorien auszumachen meinen?

„Ließ erst Wikipedia, bevor Du lospolterst?“
„Lieber XYZ, ich befürchte, hier liegt ein Missverständnis vor. Vielleicht sollten wir zunächst ein paar Begrifflichkeiten klären, bevor wir uns die Köpfe einschlagen?“
Einfach ignorieren?
Demonstrativ mit den Augen rollen?

Seit ein paar Tagen hüpft bei Twitter das Wort „Babo“ durch meine Timeline. Es verbreitet sich schnell und bereitet sehr unterschiedlichen Leuten ziemlich großen Spaß. Musikvideos und Zeitungsartikel werden verlinkt, Anspielungen, Fragen, Korrekturen, Scherze reihen sich aneinander. Generationen- und milieuübergreifend wird ein „neues Wort“ ausprobiert.

„Babo“ ist nicht niederschwellig. Ganz im Gegenteil. Aus der Welt lerne ich, dass „Babo“ nicht türkisch, nicht deutsch, sondern zazaisch ist und in Ostanatolien zum Grundwortschatz gehört. Da muss man also erstmal gewesen sein, um mitreden zu können! Trotzdem besteht die allgemeine Bereitschaft, rauszufinden, was gemeint ist. Denn „Babo“ macht neugierig! Niemand motzt, dass „schließlich nicht alle Orientkunde studiert haben!“. Stattdessen wird nachgefragt und gegoogelt. Ganz selbstverständlich. Kurz denke ich an eine Werbekampagne meiner Kindheit:

„ZIMBO ist kein Zauberer sondern Wurst“

Auch sie stiftete Verwirrung, war damit sehr erfolgreich und ist mir über 30 Jahre im Gedächtnis geblieben.

Was also haben „Babo“ und „Zimbo“, das „Gender“ vermissen lässt?

Gender
beschreibt das soziale Geschlecht in Unterschied zum biologischen Geschlecht. Unser Rollenverhalten, unsere Kleidung, unsere Sprache … nicht die körperliche Ausstattung. Oder um mit Grönemeyer (1991!) zu singen:

„Wann ist der Mann ein Mann?“

Wäre diese Frage mit einem Chromosomensatz erschöpfend beantwortet, bräuchte es weder Lieder darüber noch den Begriff „Gender“.

Gender Mainstreaming
ist eine politische Strategie mit der Zielsetzung „Gleichstellung“.
Das Bundesministerium für Gedöns (Begriffsfindung Gerhard Schöder, Ex-Bundeskanzler) schreibt dazu:

Gender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.

Gender ist also keine faule Abkürzung für Gender Mainstreaming, sondern eine Beschränkung des Aktionsradius. Schließlich ist Politik nicht für biologische, sondern nur für gesellschaftliche Rahmenbedingungen zuständig.

Hier lässt es sich kontrovers diskutieren.
Hier findet Politik statt.
Hier geht es um Quoten, Gleichstellung, Diskriminierung, Statistiken …
Hier ist Platz für Polemik.
Nur hier.

Gechlechtssensible Sprache
ist der Versuch Gender Mainstreaming in der Sprache abzubilden. Es gibt Menschen, die hoffen durch eine „gerechtere Sprache“ zu einer gerechteren Gesellschaft beitragen zu können. Für andere ist es kleinkarierte Schikane und bürokratischer Ballast. Ich selbst schwanke zwischen Respekt, Freude über die Möglichkeiten und Scheitern in der Sprechpraxis. Denn geschlechtssensible Sprache ist manchmal ein ziemlicher Eiertanz und erfordert zunächst recht viel Bewusstheit und Konzentration beim Sprechen. Das liegt mir nicht besonders. Aber es tut mir gut und trainiert eine wichtige Fähigkeit: Rücksichtnahme.

Heteronormativität
meint eine Weltanschauung, die Heterosexualität nicht nur als sexuelle Norm, sondern als elementare Grundannahme voraussetzt.
Ups.
Heteronormativität behauptet also nicht (nur), dass die meisten Menschen mit gegengeschlechtlichen Partnern Sex haben und/oder haben wollen – sondern dass dies prinzipiell auf ALLE Menschen zutrifft. In EInzelfällen kann es natürlich (durch besondere Umstände und in Ausnahmesituationen) zu abweichendem Verhalten kommen.

Ausnahmen bestätigen die Regel.

Heteronormativität in der Praxis zeigt sich in der Verwunderung darüber, dass auch attraktive Frauen und „echte Kerle“ homosexuell sein können und der Frage, was da denn wohl schief gelaufen sein könnte. Diese Beispiele sollen deutlich machen: Heteronormativität findet im Kopf statt. Sie kann Auslöser für diskriminierendes Verhalten sein, muss aber nicht.

Wenn sich also Menschen, die dieser Norm aus welchen Gründen auch immer nicht entsprechen, gegen „Heteronormativität“ aussprechen, sprechen sie sich nicht gegen heterosexuelle Menschen und/oder deren Lebensmodelle aus. Wirklich nicht. Sie verweigern lediglich die Vereinnahmung. Sie beklagen damit auch keine gesellschatliche Benachteiligung sondern ein Denkmuster.

Zielsetzung: Ein allgemeines Umdenken

Nachsatz
Ich habe wenig bis gar kein Interesse hier den Sinn und Wert dieser Begriffe zu diskutieren. Dafür eignen sich diverse Foren einfach besser. Allerdings bin ich äußerst dankbar für Korrekturen, Verbesserungen, und Ergänzungen. Mir ist bewusst, dass alle von mir gesammelten Infoschnipsel stark verkürzen und obendrein überflüssig sind, weil sich jeder Begriff sehr viel ausführlicher und differenzierter nachschlagen und ergoogeln lässt.

Meine Motivation: Ein Sprichwort, bei dem nur Handgepäck akzeptiert wird.