Tweeting Gender

Tweeting Gender

Anfang des Jahres sorgte eine Twitter-Aktion gegen alltägliche Sexismen für fruchtbare Diskussionen, kontraproduktive Pauschalisierungen und medialen Wirbel. Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet, doch das „Unbehagen der Geschlechter“ ist geblieben. Originaltitel: Gender-Trouble. Thema: Probleme, die sich aus der Zuschreibung und Reproduktion von Geschlechterverhältnissen ergeben. Prädikat: Wertvoll. Status: Kult.

Butler’s Buch habe ich nichts hinzuzufügen, der Aufschrei-Diskussion auch nicht. Beide habe ich mit Spannung gelesen, beide sind mir zu weiten Teilen unverständlich geblieben. Zusammengenommen bringen sie meine Verständnislosigkeit auf den Punkt:

Das sinnlose Unbehagen der Geschlechter auf Twitter.

Denn kaum ein Kommunikationskanal ließe sich so geschlechtsneutral nutzen wie Twitter. Kurzinformationen und Minimalstatements werden willkürlich zusammengewürfelt und selektiv wahrgenommen. Sie geschlechtsspezifisch zu markieren und eindeutig bestimmbar zu machen, erfordert einen nicht unerheblichen Mehraufwand, der kostbare Zeichen frisst. Möglicherweise erklärt das die große Popularität sekundärer Geschlechtsmerkmale als Avatar.

Wozu also der ganze Aufwand?

Ich kenne kein menschliches Wesen, das auf die Frage „haben Sie stereotype Geschlechterrollen schon einmal als Beschränkung oder Stigmatisierung erlebt?“ mit „Nein“ antworten würde. Ich kenne auch keines, das über den eigenen Erfolg sagt, persönliche oder berufliche Leistungen wären aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit höher bewertet worden. Und so abgedroschen es sich auch liest: All jene, die Interesse an meiner Zuneigung zeigten, wollten letztlich nicht für ihr knackiges Hinterteil sondern für ihr einnehmendes Wesen geschätzt werden. So kontrovers und vielfältig die #aufschrei-getaggten Tweets also auch waren, sie alle waren sich einig darin Sexismus negativ zu bewerten.

Warum also verorten sich so viele Twitterer offensichtlich, offensiv und eindeutig im heteronormativen Spektrum, statt die große Freiheit der inneren Werte zu nutzen, die Twitter bietet? Wird das überhaupt als Freiheit empfunden oder nur als Beschränktheit des Ausdrucks, als Mangel an Information? Ist ‚Doing Gender‘ vielleicht nicht nur eine lästige Angewohnheit, sondern auch ein persönliches Bedürfnis?

Ich weiß es nicht.

Jedenfalls gibt es ein paar Twitternde, die ich nicht einordnen kann, obwohl ich sie aufmerksam lese. Und das empfinde ich tatsächlich als seltenes „Extra-Feature“, als kostbare Erweiterung des Interpretationsspielraums. Und insgeheim hoffe ich, dass sie diesen Zustand vielseitiger Lesbarkeit durch Informationsverweigerung noch möglichst lange aufrecht erhalten können. Mir selbst gelingt das nämlich nicht; zumindest nicht konsequent.

Denn immer mal wieder will ein Gedanke mitgeteilt werden, den ich nicht verallgemeinern und auch nicht für sich allein stehen lassen kann. Oder ich stolpere über eine dieser „das-versteht-hier-ja-eh-niemand-Anspielungen“ und will mich prompt und in Versalien outen. Nicht nur als Frau, sondern auch als quartalsdepressive Queerfemme oder androgynen Meerschweinchenversteher.

Es scheint also neben dem Unbehagen der Geschlechter auch ein Unbehagen der Geschlechtslosigkeit zu geben. Zumindest bei mir. Zumindest wenn ich das Gefühl habe falsch gelesen und missverstanden zu werden. Dann bin ich bereit, freiwillig eine Schublade zu beziehen. Zumindest vorübergehend.

Wirklich gut finde ich das nicht.